Es gibt in unserer Gesellschaft Entwicklungen, über die wir uns Sorgen machen sollten. Durch die sogenannte „Globalisierung“ kommen wir immer mehr in Kontakt mit Menschen anderer Völker und Kulturen, die anders denken und andere Gewohnheiten haben. Was fremd ist, wirkt oft bedrohlich. Wir müssen uns deswegen an erster Stelle um das eigene Volk kümmern: Gruppenegoismus, Nationalismus, Fremdenangst und Fremdenhass. Populistische Parteien schüren den Fremdenhass, extreme Bewegungen schrecken sogar vor Gewalt gegen Fremde nicht zurück. Wer gehört zu uns und wer nicht? Das war auch zur Zeit Jesu der Fall. Deswegen hat das heutige Evangelium, hat Jesus uns dazu etwas zu sagen.
Jesus befindet sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon - im heutigen Libanon. Er befindet sich also im Ausland, im nicht-jüdischen, heidnischen Gebiet. Und da wird Jesus von einer Frau belästigt. Sie ist keine Jüdin. Sie hat eine andere Religion. Sie ist eine heidnische Frau, zu der Jesus als Jude überhaupt keinen Kontakt haben soll. Sie gehört nicht dem von den Juden bezeichneten „auserwählten Volk Gottes” an.
Der Evangelist Matthäus schreibt sein Evangelium für Judenchristen, d.h. Juden, die Christen geworden sind. Er will ihnen durch das Verhalten von Jesus etwas ganz Wichtiges deutlich machen.
Zunächst einmal benimmt sich Jesus zu dieser Frau wie alle Juden es machen würden: Er negiert sie. Aber sie ist hartnäckig. Daraufhin macht Jesus ihr klar, dass er sich um sein eigenes Volk kümmern muss und nicht um die, die nicht dazugehören („Unser Volk zuerst!“). Der Jude Jesus zeigt, wie Juden sind. Aber diese Frau, getrieben durch ihre Sorge um ihre Tochter, gibt nicht nach. Ein spitzfindiges Gespräch entwickelt sich.
„Es ist nicht recht, das Brot den Kindern (Israels) wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen“, sagt Jesus sehr schroff. Die „Hunde“ war damals ein Schimpfwort für die Heiden, für die Nicht-Gläubigen. Es spielen da auch noch politisch-soziale Elemente eine Rolle: Die Bauern von Galiläa, wo Jesus wohnte, hatten auf Druck der römischen Besatzungsmacht dieses „heidnische“ Gebiet mit Getreide zu versorgen!
Aber dann durchbricht Jesus das jüdische Denk- und Verhaltensschema. Er sieht auf das Herz dieser Frau, das voller Sorgen ist, aber sie sieht ihn auch als „Sohn Davids“ an: Ein jüdischer Ehrentitel, mit dem der von Gott versprochene Retter gemeint ist. Sie glaubt also an Jesus, sie hat Vertrauen zu ihm. Er kann ihre Tochter retten. „Du hast wirklich ein großes Vertrauen zu mir, einen großen Glauben.“ Durch das Verhalten von Jesus will der Evangelist Matthäus seine Judenchristen davon überzeugen, dass sie umdenken sollen und ihr Verhalten den „Heiden“, den Fremden, den Ausländern gegenüber, ändern sollen.
Geht es hier nur um die Judenchristen damals? Jahrhunderte lang haben große Theologen, die das Denken der Kirche beeinflusst und bestimmt haben, behauptet: „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“! Die nicht zur Kirche gehören, sind Heiden und also Verdammte.
Erst im Jahr 1964, gegen Ende des II. Vatikanischen Konzils, hat die damalige Kirchenleitung ganz offiziell gesagt: Gott wirkt nicht nur in der Kirche, sondern auch in anderen Religionen. Auch sie können Zugang zu Gott sein. Gott ist für alle Menschen da. Alle sind seine geliebten Kinder - unabhängig von Rasse, Hautfarbe und Volkszugehörigkeit. Gottes Liebe schließt niemanden aus. Dürfen wir dann andere, egal wie sie sind, ausgrenzen?